Unsere Reise begann vor einem Jahr. Wir lernten die belgische Schäferhündin im Tierheim kennen. Sie war gerade fünf Jahre alt geworden. Ihr Blick mit den tiefen dunklen Augen stets nervös, ihr Verhalten unruhig und unsicher, die Rute immer wieder tief eingezogen und die Ohren angelegt. Für manchen mögen diese Anzeichen ausreichend gewesen sein, sich gegen einen solchen Hund zu entscheiden.
Du weißt nie, was sich alles dahinter verbirgt und welche Probleme sich im Alltag offenbaren können.
Der Vorbesitzer nannte sie "Osmose". Der Einfachheit halber zum Rufen (zweisilbig), kürzte ich den Namen auf "Osmo". Osmo hatte bereits ein paar Tierheime in Frankreich hinter sich, wo sie nicht vermittelt werden konnte. Wie uns mitgeteilt worden ist, kennt sie nur den Zwinger und hat Angst vor Männern mit Kappe und Sonnenbrille. Als der Vorbesitzer gestorben ist, ist dessen Frau mit Osmo nicht zurechtgekommen und hat sie im Tierheim abgegeben.
Über knapp vier Wochen besuchen wir Osmo mehrmals wöchentlich im Tierheim und führen sie aus, sodaß sie Gelegenheit hat, uns und den holländischen Schäferhund, Lex, von Roxi kennenzulernen. Osmo ist körperlich in einem schwachen Zustand. Nach 15 Minuten spazieren, fangen ihre Beine bereits an zu zittern.
Schließlich ist es soweit. Osmo soll zu uns nach Hause kommen. Ich unterschreibe im Tierheim einen sogenannten "Tierüberlassungsvertrag" und zahle 450€ Schutzgebühr. Unser erstes "Abenteuer" beginnt bereits am Auto. Man hatte mir gesagt, dass Osmo nicht gerne Auto fährt und habe es bereits mit ihr geübt. Osmo will aber partout nicht in den Kofferraum einsteigen. Sie zieht wie verrückt an der Leine in die entgegengesetzte Richtung. Ich lege Leckerlies vor das Auto. Sie zögert erst, nähert sich diesen aber dann doch, schnappt diese und nimmt dann schnell wieder Abstand vom Auto. Ich platziere die Leckerlies immer ein wenig näher ans Auto. Sie tänzelt nervös immer von rechts nach links und hin und her, bis sie wieder die Leckerlies schnappen kann. Schließlich platziere ich das begehrte Gut im Kofferraum und Stück für Stück werden diese immer tiefer in diesem abgelegt, sodass Osmo gezwungen ist, in den Kofferraum zu springen, aber sogleich wieder hinausspringt. Es vergehen bald anderthalb Stunden und wir haben den Parkplatz noch immer nicht verlassen. Im Auto will sie einfach nicht bleiben. Am Ende bleibt mir keine andere Wahl, wie nach ihrem Sprung in den Kofferraum, blitzschnell die Leine um die Kopfstütze der Rückbank zu legen und sie so am Hinausspringen zu hindern. Osmo ist davon gar nicht begeistert und zerrt am Geschirr wie verrückt. Sie ist schon nahezu panisch. Ich schließe den Kofferraum schnell und sie kauert sich ganz dicht in eine Ecke.
Diese Angst vor dem Autofahren hält über drei Monate an, ehe sie allmählich nachlässt, trotz dessen, dass wir dieses Ein- und Aussteigen täglich mindestens fünfmal üben und trotz der Unterstützung eines Hundetrainers, der seit über dreißig Jahren belgische Schäferhunde und "Problemhunde" im Allgemeinen ausbildet.
Mittlerweile springt Osmo ohne zu Zögern ins Auto und will unbedingt dabei sein. Der Weg dahin war aber zäh und enervierend.
Wie Osmo das erste Mal bei uns Zuhause ist, ist das für sie der Eintritt in eine neue Welt. Sie kennt aus ihrem vorigen Leben nur den Zwinger. Sie weiß nicht, was all diese unzähligen Objekte in einer Wohnung sind. Was darf man hier in Beschlag nehmen und was nicht. Nervös tigert sie in der gesamten Wohnung auf und ab, hin und her, ohne irgendwo lange zu verweilen. Sie ist sehr unruhig. Plötzlich schnappt sie sich ein Kissen vom Sofa und fängt an, es zu zerrupfen. Das geht so schnell, dass wir gar nicht reagieren können. Schon lässt sie wieder davon ab und springt wieder auf das nächste Objekt ihrer Begierde zu und möchte es zerstören. Egal was, Osmo packt es und muss es zerstören. Nähern wir uns ihr, knurrt sie uns böse an und fletscht die Zähne - bereit, es mit allen Mitteln zu verteidigen. Für uns eine völlig irritierende Situation. So etwas kennen wir nicht. Meine Frau bietet ihr einen Knochen an im Tausch. Das funktioniert erst einmal - kann aber auch keine Dauerlösung sein. Da wir Osmo in ihrem Zerstörungswahn nicht unbeaufsichtigt lassen können, bleibt uns für's Erste nichts anderes übrig, als sie in der Wohnung anzuleinen. Sämtliche übliche Methoden sie dazu zu bewegen von Objekten abzulassen und/oder fernzubleiben, funktionierten kurzfristig im Ansatz, aber sobald wir uns umdrehten, sah sie einen günstigen Moment und krallte sich unter den Nagel, was sie nur konnte. Das Ermahnen/Belehren und Klauen ging in einem schier endlosen Zyklus. Noch nie hatten wir so etwas bei einem Hund kennengelernt.
Mir war schon vorher klar, dass ich für Osmo professionelle Hilfe brauchen werde. Ein Termin war bereits bei einem Hundetrainer vereinbart. Leider war dieser so ausgebucht, dass er mir erst in drei Wochen einen Termin anbieten konnte.
Drei Wochen können eine lange Zeit sein... und wenn ich das tief Nervöse von Osmo in ihrem Blick sah, bekam ich manchmal Zweifel, ob man dieses Wesen noch "alltagstauglich" bekommen konnte. Gleichzeitig war es ein Gefühl von tiefem Mitleid für dieses verstörte Tier, was schon Dinge durchgemacht haben musste, die ich mir nicht ausmalen wollte. Es war fast so, als wollte ich mich bei ihr entschuldigen, dass ich ein Mensch bin und einer meiner Art ihr viel Leid angetan hatte.
Wie ich ihr einen Turnschuh abnehmen wollte, den Sie mir geklaut hatte, biss sie mich in den Unterarm. Da war für mich eine Grenze überschritten. Ich packte sie mit der einen Hand am Nackenfell und mit der anderen am Fell des Hinterteils, hob sie an und legte sie auf die Seite, wo ich sie fixierte. Ich wollte ihr zeigen, dass ich stärker bin, als sie und ihr Verhalten nicht tolerierte. Das ganze Maneuver machte ich aber sehr sanft - zu sanft. Ihr Blick blieb auch in der ausweglosen Lage am Boden noch zornig und ihr Schwanz wedelte nervös. Beim zweiten Anlass wurde ich schon ein wenig grober... Als wir schließlich im Garten gewesen sind und sie sich einen teuren Funktionspullover von mir schnappte und schon loslegte ihn zu zerfetzen, hatte ich endgültig genug. Ich packte sie wieder an Nacken und Rückenfell, sie verbiss sich sogleich wieder in meinem Unterarm, aber ich blieb unbeirrt, hob sie mit einem Ruck nach oben, ihr Pfoten flogen durch die Luft und ich knallte sie im Gras auf die Seite, wo es einen dumpfen Aufschlag gab. Für mich eine äusserst stressvolle Situation, denn einerseits wollte ich einen verstörten Hund, durch eine solche Aktion nicht noch mehr verstören und andererseits, war für mich ein Punkt erreicht, an dem ich mir sagte, es kann so aber auch nicht weitergehen. Diesmal schien mein Handeln Wirkung zu zeigen, sie streckte ihren Kopf und gab ihre Kehle frei, den Schwanz zog sie ein an ihren Bauch, ihre Muskulatur war völlig entspannt: Sie ergab sich. Nach dieser Aktion waren wir beide mental ein wenig erschöpft.
Dies war ein erster Wendepunkt in unserer Beziehung. Sie akzeptierte mich nun als ihren Leithund. Sie begann mir auf Schritt und Tritt zu folgen - überall hin. Fortwährend sucht sie meine Nähe und meine Aufmerksamkeit. Plötzlich war ich so etwas wie der Mittelpunkt ihres kleinen Universums und sie verstand, dass ein "Nein" auch ein "Nein" bedeutete.
Dass dieses neue Verhältnis auch noch andere unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen kann, musste ich später auch noch lernen... (Eifersucht!)
Es war mir eine Freude, meine neue Freundin aufzupäppeln und fütterte die Hunde mit stets wechselnden hochwertigen Zutaten. Osmos Immunsystem ist aufgrund der vorhergehenden Mangelernährung und dem Stress im Tierheim samt Dünndarm-Parasiten in die Knie gegangen. Ihr Fell war strohig, die Haut schuppig, die Rippen traten übermäßig am Brustkorb hervor aufgrund des Fettmangels und ihre Muskulatur war stark zurückgebildet.
Selbst mit dem Sehen hatte sie gelegentlich Probleme und konnte Objekte vor ihrer Nase nicht immer wahrnehmen.
Über Wochen und Monate gelang es uns, sie aufzupäppeln und sie entwickelte wieder eine gesunde Physis.
Mittlerweile hat Osmo ihren festen Platz bei uns gefunden und ihr Wesen wird zunehmend stabiler. Natürlich gibt es noch Dinge, die Probleme bereiten. Menschenansammlungen bereiten ihr noch immer Unbehagen und sie ist sehr eifersüchtig auf Personen, die mir Nahe stehen. So sehr, dass sie diese sogar wegbeissen möchte. Kann ich ja auch verstehen... ich bin schon eine dufte Type. Ich wollte mich auch mit niemandem teilen wollen. - Aber ich denke, auch das werden wir auf Dauer noch hinbekommen.
Einen Hund zu haben, ist auch Tag für Tag ein kleines Abenteuer und gleichzeitig ein wunderschönes Erlebnis einen so engen Begleiter zu haben.
Hunde aus dem Tierheim haben offensichtlich leider schon so manches durchgemacht und die erste Zeit mit ihnen kann sehr holprig sein und ein Wechselbad der Gefühle bis hin zu Verzweiflung auslösen. - Dennoch würde ich jederzeit wieder einen Hund aus dem Tierheim wählen. Gerade dieses sehr intensive und auch anstrengende Zusammenleben zu Beginn, schafft einen sehr starke Bindung zueinander. Auch denke ich, dass gerade diese Tiere eine Chance verdient haben, so wie auch wir als zukünftige Halter die Chance haben, zu zeigen, dass es auch Menschen gibt, die nicht so sind, wie jene, die für ihr Dasein im Heim verantwortlich sind.
In diesem Sinne... habt ein Herz für die Engel auf vier Pfoten, denn sie hätten oftmals besseres als einen Menschen verdient!
„Vierbeiner“- wow, was für ein kompliziertes und intensives Aneinandergewöhnen.
Es ist schön zu sehen was daraus entstanden ist.